Sonntag, 19. Februar 2012

1980 - XXXVIII

Heuchelbach

Es klappert die Mühle am Heuchelbach, sie wird es immer tun,
denn die Heuchelei ist nichts weiter als eine gigantische Vergewaltigung der Idee. Forscht man einmal nach, so stellt sich heraus, das jeder religiöse Mensch,
und religiös ist hier als Charaktereigenschaft gemeint,
gut ist, weil er dem Leben einen Sinn abgewonnen hat
und ihm somit positiv gegenüber steht.

Nun gibt es einige, die meinen, das Kind müsse einen Namen bekommen.
Also die Tatsache, daß ihre innere Überzeugung ihnen beim Leben hilft,
die soll nun verbreitet werden.
Das Ganze geschieht natürlich nicht aus völlig altruistischen Motiven.
Ein Kind, das schwimmen gelernt hat, prahlt auch gern bei seinen Altersgenossen, die nicht schwimmen können.
Der Unterschied ist nur, daß nun der Glaube an die eigene Überlegenheit den Namen Gott, Gottes Sohn und Heiliger Geist (was immer das sein mag) trägt
und die Ungläubigen (wahrscheinlich vor Staunen) mit einiger Nachhilfe
(früher mit primitiver, aber wirkungsvoller, Gewalt, heute durch Agitation) zu Ihrem Glück gezwungen werden sollen.

Wie wird aus einer an sich guten Kraft eine schlechte ?
Ganz einfach: der Zweck heiligt die Mittel.
Mit diesem Satz läßt sich alles rechtfertigen, sofern der Zweck, der christliche Moralkomplex, erst einmal selbst geheiligt ist.
Das besorgt die Kirche, die Neigung, sich im Zweifelsfall nicht auf sich selbst zu verlassen,
sondern imaginäre Stützen zu suchen, treibt ihr immer wieder seltsame Schafe zu.

Ein eigenes, urmenschliches, Gewächs ist da entstanden, das nichts mehr mit Urahnungen und Gotteserfahrungen zu tun hat.
Wie einem Krebsgeschwür wohnt allen menschlichen Institutionen inne, daß sie Eigenleben entwickeln.,
wachsen ohne Sinn und schließlich ihre Grundlagen vernichten.
Wenn Gott wirklich überall ist, dann ist er in Jedem, wozu also noch Kirchen bauen ?
Wie soll eine Kraft übertragen werden, die Andere nicht spüren ?
Eine reine Machtfrage entscheidet, was die Kinder glauben dürfen, was nicht.
Falsche Religiosität wird an den Tag gelegt, menschliche Beziehungen zerstört, bevor sie angefangen haben.
Haß gegen Juden, Araber, ist das Gott ?
Was ist mit Allah ? Dem Nirwana ?
Der Teufel trägt das Kruzifix des Gottgötzen
und der Geist wendet sich mit Grausen.

Samstag, 18. Februar 2012

1980 - XXXVII

Spiel

Lieber Gott, fragst Du Dich manchmal,
warum die Starken nicht immer gut,
die Schwachen nicht immer schlecht,
die Reichen nicht immer stark
und die Armen nicht immer schwach sind ?
Wie hälst Du den Zufall aus,
der in Deiner kunterbunt zusammen gewürfelten Welt
immer die gleichen gewissenlosen Menschen
an den Schalthebel führt,
der die Macht über Tausende von Menschen bedeutet und deren Unglück ?
Gewiß, manchmal gewinnt auch ein Guter,
im Märchen zum Beispiel läßt es sich happy enden.
Aber Du verbreitest unwidersprochen, die Welt sei gut,
alles soll so bleiben:
findet Euch mit dem bißchen Unglück ab und betet.
Dabei geht Deine Schöpfung, zumindest deren Krone gewaltig in die Hose.
Vielleicht hast Du auch nur ein Spielchen mit Deinem Kompanion,
genannt Teufel, gewagt und leider verloren.
Ein neues Spiel - ein neues Glück.
Jetzt mußt Du Deine Karten mischen,
sonst verlierst Du wieder
oder hast Du Dich abgesprochen
und am Ende gar nichts verloren ?
Jagst uns die Puppenfiguren der Angst auf den Hals,
läßt uns schwitzen, am Ende für nichts ?
Womöglich bist Du selbst so eine Figur,
ein Lächeln wird Euch beiseite wischen.

Freitag, 17. Februar 2012

1980 - XXXVI

Augenblick !

Sechs Milliarden Endzeiten verrinnen,
neue beginnen,
im Rausch der Ewigkeit des Augenblicks
und höchsten Glücks,
gezeichnet von der Endlichkeit
mit Verschwendung ohne Endung,
entsteht aus Leidenschaft neue Lebenskraft
- nie so zahlreich, doch so einsam.

Donnerstag, 16. Februar 2012

1980 - XXXV

Blauer Tag

Sieht nach blauem Himmel aus
oder nach einem blauen Tag,
der Rauch der Zigarette
ringelt den Sonntagshimmel,
ein Weg an einer langen Straße
führt den Spaziergänger
an Deine Tür,
mit braunen Augen in den Tag,
der blau scheint
in das Stilleben der
Kaffeetassen und Aschenbecher,
Brotreste in der Küche,
die Kühe im Stall bemerken es nicht,
der Himmel ist blau über dem Asphalt
und den kleinen Staubwolken,
die unsichtbar umher eilen
und irgendwo die Einkehr,
um sich die Zigarette zu drehen
und Kaffee zu trinken
und erst abends beim Bier
merkst Du und die Gestalten der Nacht:
es war ein blauer Tag.

Mittwoch, 15. Februar 2012

1980 - XXXIV

Smooth Operator

Gnagflow, der Unendliche, begann aus seinem schweren Schlaf zu erwachen und träumte den Körpertraum.
Was da plötzlich in Wallung geriet, kannte er nicht, aber es erfüllte ihn mit Wohlgefallen. Die Formen malten sich wie von selbst, in den Labyrinthen seiner Gedankengebäude schmückten sie die Imagination und Impulse, die eigentlich unmöglich schienen, entstanden, am Anfang ein einziger, der nicht aufzuhören schien und in andere überging oder mehr oder weniger und alles potenzierte sich zu einer gewaltigen einzigen Menge, die hervorbrach und das Nichts derartig überschwemmte, das ein einziger Operator unmöglich All das hätte aufwischen können, was er ja auch garnicht tat.
Ein Wabern erfüllte Gnagflow und der eigentlich ihm selbst bewußte, unerhörte Bewegungsfluß zeugte eine sich selbst entwickelnde Masse von winzigen Momenten, die in einer winzigen Facette gleich winzige Funken zu einem großen Lichtbild des Lebens puzzelte.
Guten Tag, ich bin die Herrin, sagte ihm etwas und die Tür öffnete sich, wobei Gnagflow über unmögliche, weiche Materie verfügte und die lebte und bebte und er glaubte, schon immer so etwas gewünscht zu haben und die Freude des Erreichten verschlang ihn bald so sehr, daß er merken konnte, wie der Körper verblich, die Formen verwelkten und schon bald schlief er wieder.
Der Operator zuckte die Achseln, er kühlte das Nichts tagtäglich, doch ebenso entstanden überall beständig neue Herde, um die er sich kümmert und diese Zeilen nimmt er bestimmt nicht zur Kenntnis, weil er nicht liest und sie eigentlich überhaupt nicht interessant findet.
Er operiert nämlich im Nichts und ohne Aufgabe und das so beständig wie eh und je.

Dienstag, 14. Februar 2012

1980 - XXXIII

M.E.N.S.C.H.

Wir heißen M.E.N.S.C.H. und sind Teil
eines Androidenprogramms.
Unsere Aufgabe ist es, menschliche Gefühle
zu registrieren und zu demonstrieren.
Zuerst müssen wir feststellen,
daß humane Wesen immer mehrere Schritte überspringen
oder plötzlich vom Programm abweichen.
Ihr Programm muß sehr umfangreich sein,
es wird erst als Summe eines Zustandes,
genannt LEBEN, erkennbar.
Das Programm ändert sich selbständig.
Es ist abhängig von der Arbeit aller Humanwesen
und muß daher als ein Steuerprogramm betrachtet werden,
welches die Unterprogramme korrigiert.
Die Einzelwesen streben ihre Korrektur nicht an
und wollen auch nicht abgeschaltet werden.
Das nennen sie ICH,
sie GLAUBEN wegen ihres komplizierten Programms
an eine übergeordnete, ewige Erhaltung,
obwohl sie selbst nach einer von ihnen selbst gemessenen
Spanne von 70-100 Einheiten in der Regel ihre Abschaltung erreichen.
Über ihr funktionelles SEIN hinaus,
möchten sie das Programmende vermeiden.
Dazu möchten sie das Programm beherrschen
und SELBST KREATIV SEIN.
Leider wissen wir nicht, was es bedeutet,
denn das Resultat der Programmentnahme ist das Ende des Istzustands für sie.

Über das Steuerprogramm liegen uns keine Daten vor,
daher bekommen wir kein Ergebnis.
Worte wie MORAL, GLAUBEN, SINN, LEBEN sind nicht analysierbar.

FÜR DIE MIT GROSSBUCHSTABEN GEKENNZEICHNETEN WORTE STEHT KEIN SPEICHER ZUR VERFÜGUNG, BITTE SCHLIESSEN SIE EINE ODER MEHRERE ANWENDUNGEN UND STARTEN SIE LEBEN 98 ERNEUT

Montag, 13. Februar 2012

1980 - XXXII

Aerobic(g)

Millionen bestrumpfhoste,
verbalettierte oder simpel
sporthosige Frauenhintern
schwenken sich im Takt zur Flash-Dance-Melodie,
zuckend wie Hähnchen am Grill,
werfen sie ihre legwarm
geschützten Beine in die Luft,
ob stramm oder nicht,
die Stirnbänder angezogen,
wie um den Kopf zusammenzuhalten,
die Masse beschert den Überdruß,
so wird Selbstqual zum Genuß
im Stil der Zeit verwandelt sich jede künstlerische Ambition
in einen körperlichen Fetischismus größter Sinnlosigkeit,
die jedes Nachdenken über den
uniformen Charakter des eigenen Tuns abweist,
eine gestretchte Ideologie
verliert man nie,
wenn Turnvater Jahn es wüßte,
rap it bis die Platte kaputt is.