Ich bin ein sehr altmodischer Mensch. Ich telefoniere nicht mit meinem Handy, wenn ich Auto fahre. Ich schaue erst, bevor ich gehe. Wenn ich Emails schreibe, möchte ich, dass man mir antwortet. Wenn ich zu jemandem freundlich bin, erwarte ich das gleiche von ihm. Wenn ich was für die Allgemeinheit tue, soll sie es mir gefälligst danken.
Ich mache mir sogar Gedanken über meine Rechtschreibung. Ich finde die Kleinschreibung fürchterlich und ich schreibe Du immer noch groß.
Ich weiß, das ist alles voll übel und mir ist nicht zu helfen. Aber wie soll ein Mensch werden, wenn er ohne iPad, iPhone, Handys überhaupt, Fernsehen rund um die Uhr,
ja sogar ohne Computer und Taschenrechner, ohne Kopfstützen und Sicherheitsgurte im Auto und ohne Digitaluhr groß geworden ist? Ohne Küchentücher und Spülmaschinen gar und ohne Tiefkühlkost und Pizza, Burger und Pommes?
Dabei steckt das alles in uns drin. Kleine Chips werden die Zukunft sein, sagte mir mein väterlicher Freund schon in den Siebzigern, ein Diplomingenieur mit Rechenschieber.
Der die Krümel mit dem Löffel aus der Kekstüte gegessen hat. Weil er nichts umkommen lassen wollte, obwohl er in zwei Kriegen Soldat war.
Das Leben ist eben einfach wunderbar. Wenn es früher das alles gegeben hätte, dann wäre früher jetzt gewesen. Die Leute hätten ihre Telefonate vom Fahrrad aus erledigt und alles weg geschmissen, was zu reparieren gewesen wäre, sie hätten Hitler vergessen und sich stattdessen zu Flashmobs verabredet. Langeweile am Sonntag und ein Sendebild am Tag im Fernsehen hätte es dann nicht gegeben. Aber was wäre aus mir geworden? Vermutlich hätte es mich nicht gegeben und ich müsste mich nicht jetzt erst verlieren.
Samstag, 21. April 2012
Freitag, 20. April 2012
2000 - III
Gö, holt Haider !
Der Schwung wird besser und die Erkenntnis trifft Dich wie ein Messer.
Es war immer so und wird immer so sein:
Österreich ist des Deitschen Heim.
Was zuhause längst vergessen scheint,
findest Du nur hier, mein Freind.
Hast Du das erst einmal kapiert,
nur Urlaubsfreude Dir passiert.
Der Dichter kauft sich eine Vignette,
fährt davon und sprengt die Kette.
Vier Sterne namenlos am Himmel stehen,
die Berge sind doch wunderschön.
Der Schwung wird besser und die Erkenntnis trifft Dich wie ein Messer.
Es war immer so und wird immer so sein:
Österreich ist des Deitschen Heim.
Was zuhause längst vergessen scheint,
findest Du nur hier, mein Freind.
Hast Du das erst einmal kapiert,
nur Urlaubsfreude Dir passiert.
Der Dichter kauft sich eine Vignette,
fährt davon und sprengt die Kette.
Vier Sterne namenlos am Himmel stehen,
die Berge sind doch wunderschön.
Donnerstag, 19. April 2012
2000 - II
Die Spur
Ihnen ist da etwas heruntergefallen, sagte die nette alte Dame zu ihm.
Ja richtig, ein Prospekt hatte sich selbstständig gemacht und lag auf dem Boden.
Die Mülleimer ringsherum quollen über, die Scheiben der Haltestelle waren eingeschlagen und auf den Sitzbänken machten es sich die Überreste etlicher Nächte bequem.
Sicher, das Prospekt gehörte da nicht hin, er hob es schnell auf.
Erinnerungen können liegen bleiben, wenn sie vergessen werden.
Niemand sieht sie. Aber auch die Veränderungen, die das Verschwinden von Erinnerungen hervorrufen, bemerkt keiner.
Wie ein Chamäleon streifte er die Reste der Zeit mit kompletter Gründlichkeit allmählich ab.
Er verlor die Häute nie, sie hingen im Kleiderschrank seines Vergessens.
Wenn er wieder etwas zum Erinnern brauchte, würde er sie zum Anziehen auswählen.
Manchmal gefielen die Kleider anderen Leuten besser als ihm.
Sicher, seine Mutter sähe ihn am liebsten im Strampelanzug, der Vater im Konfirmandenanzug.
In den jahreszeitlich bedingten Uniformen sah er sich nicht gern, war letztlich am liebsten nackt und bloß.
Hier sah er sich am ähnlichsten, ohne Verfälschung der Figur.
Er hatte inzwischen in der Bahn Platz genommen und schaute in das gerettete Prospekt.
Auf den Sitzen lagen alte Zeitungen, die wohl jemand bewusst dort abgelegt hatte, die Papierkörbe boten nicht genug Platz für den Altmüll.
Als die Bahn anfuhr, rollte eine leere Bierdose an seinem Fuß vorüber, wortlos.
Ja, die Menschen waren so vergesslich und es gab nicht genügend nette Damen, die sie erinnern.
Der Baumarkt bot wieder handliche Akkuschrauber an, Bohrmaschinen auch, ein Glück, das zu lesen.
Im Kaufhaus offerieren sie wieder festliche Damennachtwäsche.
Und Schuhe gibt es.
Diese Prospekte werden so sicher wie das Amen in der Kirche immer wieder neu gedruckt und ungelesen weggeworfen.
Ihn faszinierte der Ablauf, er durfte Teil des Recyclingprozesses sein, streng legal.
Die Bahn fuhr in die Station ein, er schreckte aus der Lektüre hoch, stand auf, um die Schilder der Station auf der anderen Seite zu lesen.
Wo wollen Sie denn hin ? fragte ihn eine Mitreisende.
In Richtung Süd antwortete er.
Da müssen Sie noch eine Station warten, bemerkte die junge Frau.
Während ein Schild mit der Aufschrift "Süd" am Fenster vorbei fuhr, setzte er sich wieder und sammelte die Prospekte ein, faltete sie und legte sie in die Innenseite der Zeitung.
Eine Station noch, kaum zu glauben.
Die junge Frau richtete ihren Blick nach draußen, eine gegenüber sitzende Alte folgte sofort.
Er musste lachen.
Die Alte ächzte und brachte eine Flasche Kölnisch Wasser zum Vorschein, sprühte und benetzte sich.
Ein Geruchsschwall traf den Säugling mit 'zig Jahren Verzögerung.
War er eben noch zufrieden auf seinem weißen Handtuch gelegen, so trieb ihn nun das blanke Entsetzen zum Schreien. So schnell würde er sich nicht beruhigen.
Er musste aussteigen, jetzt, nicht ohne der jungen Frau für ihre Hilfe zu danken, er brauchte einen Fahrplan.
Sie haben da etwas vergessen, hörte er kaum, aber deutlich.
Er würde sich nicht verlieren.
Ihnen ist da etwas heruntergefallen, sagte die nette alte Dame zu ihm.
Ja richtig, ein Prospekt hatte sich selbstständig gemacht und lag auf dem Boden.
Die Mülleimer ringsherum quollen über, die Scheiben der Haltestelle waren eingeschlagen und auf den Sitzbänken machten es sich die Überreste etlicher Nächte bequem.
Sicher, das Prospekt gehörte da nicht hin, er hob es schnell auf.
Erinnerungen können liegen bleiben, wenn sie vergessen werden.
Niemand sieht sie. Aber auch die Veränderungen, die das Verschwinden von Erinnerungen hervorrufen, bemerkt keiner.
Wie ein Chamäleon streifte er die Reste der Zeit mit kompletter Gründlichkeit allmählich ab.
Er verlor die Häute nie, sie hingen im Kleiderschrank seines Vergessens.
Wenn er wieder etwas zum Erinnern brauchte, würde er sie zum Anziehen auswählen.
Manchmal gefielen die Kleider anderen Leuten besser als ihm.
Sicher, seine Mutter sähe ihn am liebsten im Strampelanzug, der Vater im Konfirmandenanzug.
In den jahreszeitlich bedingten Uniformen sah er sich nicht gern, war letztlich am liebsten nackt und bloß.
Hier sah er sich am ähnlichsten, ohne Verfälschung der Figur.
Er hatte inzwischen in der Bahn Platz genommen und schaute in das gerettete Prospekt.
Auf den Sitzen lagen alte Zeitungen, die wohl jemand bewusst dort abgelegt hatte, die Papierkörbe boten nicht genug Platz für den Altmüll.
Als die Bahn anfuhr, rollte eine leere Bierdose an seinem Fuß vorüber, wortlos.
Ja, die Menschen waren so vergesslich und es gab nicht genügend nette Damen, die sie erinnern.
Der Baumarkt bot wieder handliche Akkuschrauber an, Bohrmaschinen auch, ein Glück, das zu lesen.
Im Kaufhaus offerieren sie wieder festliche Damennachtwäsche.
Und Schuhe gibt es.
Diese Prospekte werden so sicher wie das Amen in der Kirche immer wieder neu gedruckt und ungelesen weggeworfen.
Ihn faszinierte der Ablauf, er durfte Teil des Recyclingprozesses sein, streng legal.
Die Bahn fuhr in die Station ein, er schreckte aus der Lektüre hoch, stand auf, um die Schilder der Station auf der anderen Seite zu lesen.
Wo wollen Sie denn hin ? fragte ihn eine Mitreisende.
In Richtung Süd antwortete er.
Da müssen Sie noch eine Station warten, bemerkte die junge Frau.
Während ein Schild mit der Aufschrift "Süd" am Fenster vorbei fuhr, setzte er sich wieder und sammelte die Prospekte ein, faltete sie und legte sie in die Innenseite der Zeitung.
Eine Station noch, kaum zu glauben.
Die junge Frau richtete ihren Blick nach draußen, eine gegenüber sitzende Alte folgte sofort.
Er musste lachen.
Die Alte ächzte und brachte eine Flasche Kölnisch Wasser zum Vorschein, sprühte und benetzte sich.
Ein Geruchsschwall traf den Säugling mit 'zig Jahren Verzögerung.
War er eben noch zufrieden auf seinem weißen Handtuch gelegen, so trieb ihn nun das blanke Entsetzen zum Schreien. So schnell würde er sich nicht beruhigen.
Er musste aussteigen, jetzt, nicht ohne der jungen Frau für ihre Hilfe zu danken, er brauchte einen Fahrplan.
Sie haben da etwas vergessen, hörte er kaum, aber deutlich.
Er würde sich nicht verlieren.
Mittwoch, 18. April 2012
2000 - I
Das Y2K-Problem
Zwanzig nach zwölf zeigt der Blick auf die Uhr,
der Himmel über Frankfurt ist schon dunkel.
Soeben ist pünktlich um null Uhr eine zeituhrgesteuerte Lichterkette und ein Jahrtausend ausgegangen,
beides programmiert.
Hurra, wir leben noch und die Schamanen packen ihr Handwerkszeug der Angst ein.
Die Sprachlosigkeit löst sich auf wie der Morgennebel.
Ein bisschen Skepsis bleibt;
wenn die Müllberge abgeholt sind, wird alles bleiben ?
Längst ist das große Feuerwerk von den verzweifelten Bemühungen nach bestimmungsvollen Deutungen überholt.
Die Endzeit bricht unbemerkt zusammen und alles wird so profan.
Jetzt können wir wieder feiern.
Zwanzig nach zwölf zeigt der Blick auf die Uhr,
der Himmel über Frankfurt ist schon dunkel.
Soeben ist pünktlich um null Uhr eine zeituhrgesteuerte Lichterkette und ein Jahrtausend ausgegangen,
beides programmiert.
Hurra, wir leben noch und die Schamanen packen ihr Handwerkszeug der Angst ein.
Die Sprachlosigkeit löst sich auf wie der Morgennebel.
Ein bisschen Skepsis bleibt;
wenn die Müllberge abgeholt sind, wird alles bleiben ?
Längst ist das große Feuerwerk von den verzweifelten Bemühungen nach bestimmungsvollen Deutungen überholt.
Die Endzeit bricht unbemerkt zusammen und alles wird so profan.
Jetzt können wir wieder feiern.
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