Ich habe die Burg nun erreicht. Mühselig den weichen, als Pflaster getarnten Belag der Straße überquert. Die Burg hat einen Laden, wahrscheinlich Souvenirs. Aber auch das ist ein Fake. Alles ist zugeklebt, keine Tür offen, die Wand steht vom Boden ab und hat einen Zwischenraum.
Wie immer, wenn die äußere Situation ausweglos erscheint, spielt mein Gehirn mir Musik vor.
Wie in einem Kaufhaus, nur das ich mich hier selbst beriesele. Ich habe keinen Einfluss auf die Auswahl.
" There beyond the bounds of your weak imagination
Lie the noble towers of my city, bright and gold
Let me take you there and show you a living story
Let me show you others such as me
Why did I ever leave?"
Die Burg liegt auf einem kleinen Hügel auf dem Berg, den ich hinauf kam. Von hier aus sehe ich, die Straße geht weiter, aber ich weiß nicht wohin.
Und mein Lied war zu Ende.
"They've got no horns and they've got no tail
They don't even know of our existance
Am I wrong to believe in the city of gold
That lies in the deep distance, he cried and wept..
Hello friend, welcome home!
Die letzten Worte waren in mir noch nicht verhallt. Wie sollte es jetzt weiter gehen?
Müdigkeit kroch in mir hoch. Einfach hin legen, liegen bleiben.
So schlimm war es nicht.
Vater ist da. Ich fühlte mich wie aus dem Blau des Wassers gezogen, er redet, aber es dauert, bis ich etwas verstehe. Er erzählt mir von einem Streit mit seinem Vater.
und dass er sich eine neue kleinere Wohnung in unserer Siedlung nehmen wollte.
(Was mir recht gewesen wäre, meinen Plan, eine kleine Wohnung in Parterre zu kaufen, in der er wohnen könnte, den hatte er abgelehnt.)
Meine Zeit läuft ab, wir spazieren zurück zum Bahnhof.
So wie er mich geholt hat, bringt er mich.
Er bleibt allein zurück, während ich in mein Leben zurück kehre.
Freitag, 18. Januar 2013
Dienstag, 15. Januar 2013
Gold - LXV
An einem sonnigen Tag sitze ich im Zug nach Kassel. Mein Vater wird mich vom Bahnhof Wilhelmshöhe abholen und wir werden Weg zur seiner Wohnung zu Fuß gehen.
In einem Kopfhörer läuft "Time & Again".
The sun brought me
The moon caught me
The wind fought me
The rain got me..
Schon die ersten Worte drücken meine Gefühle aus. Es ist schön und traurig zugleich.
Eine tiefe melancholische Stimmung erfasst mich, die ich kaum aushalte.
Am Bahnhof empfängt mich mein Vater. "Das kannst Du öfter machen" sagt er, während wir gehen und meint damit meinen Besuch. Wir werden in der Wohnung Musik hören, seine Musik. Er ist gut gelaunt.
Seine Hände haben dunkle blaue Streifen, ich frage danach. Er hat die alten Tonbänder vernichtet, nicht einfach weg geschmissen. Er hat sie mühsam von Hand abgespult. Da war Musik drauf von mir und von meiner Band. Er hat mich nicht gefragt vorher und wir sprechen nicht drüber.
Wir gehen zum Friedhof, zum Grab seiner Frau, meiner Mutter. Die Rosi, sie fehlt mir schon manchmal, wird er sagen. Beim Verlassen der Wohnung vergewissert er sich mehrmals, dass er den Schlüssel dabei hat. Ich kenne das. Wir gehen essen, weil ich keine Bratkartoffeln aus zerkratzten Pfannen mag.
Wie hat Vater immer gesagt, er isst nicht bei alten Leuten. Das Lokal ist schön gelegen, "Schöne Aussicht" eben, Vater ist hier bekannt.
In der Nähe haben die Eltern immer auf einer Bank gesessen.
Die Luft, sage ich, ist hier besser als bei uns.
In einem Kopfhörer läuft "Time & Again".
The sun brought me
The moon caught me
The wind fought me
The rain got me..
Schon die ersten Worte drücken meine Gefühle aus. Es ist schön und traurig zugleich.
Eine tiefe melancholische Stimmung erfasst mich, die ich kaum aushalte.
Am Bahnhof empfängt mich mein Vater. "Das kannst Du öfter machen" sagt er, während wir gehen und meint damit meinen Besuch. Wir werden in der Wohnung Musik hören, seine Musik. Er ist gut gelaunt.
Seine Hände haben dunkle blaue Streifen, ich frage danach. Er hat die alten Tonbänder vernichtet, nicht einfach weg geschmissen. Er hat sie mühsam von Hand abgespult. Da war Musik drauf von mir und von meiner Band. Er hat mich nicht gefragt vorher und wir sprechen nicht drüber.
Wir gehen zum Friedhof, zum Grab seiner Frau, meiner Mutter. Die Rosi, sie fehlt mir schon manchmal, wird er sagen. Beim Verlassen der Wohnung vergewissert er sich mehrmals, dass er den Schlüssel dabei hat. Ich kenne das. Wir gehen essen, weil ich keine Bratkartoffeln aus zerkratzten Pfannen mag.
Wie hat Vater immer gesagt, er isst nicht bei alten Leuten. Das Lokal ist schön gelegen, "Schöne Aussicht" eben, Vater ist hier bekannt.
In der Nähe haben die Eltern immer auf einer Bank gesessen.
Die Luft, sage ich, ist hier besser als bei uns.
Montag, 14. Januar 2013
Gold - LXIV
Ich brauche nun noch ein Attest des Arztes, der ihn jetzt behandelt, um den Antrag auf Befreiung von der Zuzahlung bei der Krankenkasse zu stellen. Der Arzt sieht mich und meint, er wäre überrascht gewesen, dass mein Vater ansprechbar gewesen sei. Bei seiner Erkrankung sei nichts zu machen, nicht therapierbar. Als ich das Attest lese, wird mir klar, wie schwer krank Egon eigentlich ist. Ich bringe den Personalausweis ins Zentrum zurück. Bei der Gelegenheit erfahre ich von den Pflegerinnen, dass man nicht zufrieden ist mit den Informationen aus dem Krankenhaus. Eine sagt, in Frankfurt würde sie in kein Krankenhaus gehen. Nebenbei erfahre ich noch, dass Vater aggressiv auch gegen seine Pflegerinnen ist. Ich hatte gehofft, er hätte das überwunden. Auf mich wirkt er nicht aggressiv. Die Woche über nehme ich mir eine Auszeit, erledige Papierkram wie die erneute Beantragung seiner Pflegestufe, bin bei der Bank, um auch Vaters Konto endlich von der Kasseler Sparkasse umziehen zu lassen. Am Freitag Abend würde ich eigentlich gern hingehen, es klappt leider aus beruflichen Gründen nicht.
So bleibt mir nur der Samstagnachmittag. Vormittags gehe ich zum Friseur. Mittags mache ich Besorgungen, wasche das Auto und tanke. Ich esse noch etwas, es scheint, als würde ich die Minuten schieben bis zum Wiedersehen..
Schließlich fahre ich und werde von Egon mit den Worten "Du lebst ja auch noch." begrüßt. Er soll bei der Pflege morgens angeblich kerzengerade sitzen, ich sehe ihn nur noch flach liegen. Sein Atem hat hörbar Widerstand. Ich stehe an seinem Bett. Er holt sich ein gelblich aussehendes Etwas aus dem Mund und gibt es mir in die Hand. Unschlüssig stehe ich da und weiß nicht wohin damit. Er fährt sich mit den Fingern den Mund am Gaumen entlang. Er will die Zähne im Mund haben, bekommt es aber allein nicht hin. Die Pflegerin kommt und hilft ihm. Er versucht es allein und ich vermute, er macht es falsch. Nein, nein, er hat das Gebiss richtig herum, korrigiert mich die Pflegerin. Dennoch gelingt es nicht so richtig, er ist im Mund zu verschleimt. Ich schiebe im Vorraum die Sachen der Pflegerinnen beiseite, um meine Jacke aufzuhängen. Ich räume den Schrank leer von Utensilien, die ihm nicht gehören.
Dann sprechen wir. Ich schlage vor, die Bilder mal aufzuhängen und für mich überraschend sagt er, das könntest Du mal machen. Leider habe ich in meiner Konfusion nur 3 Reißzwecken für das Poster vom Herkules dabei. So befestige ich es unten mittig mit einer.
Danach hänge ich große Bild von Klee neben den Kleiderschrank. Jetzt können wir uns mal unterhalten. Egon fragt, ob der Herkules noch eingerüstet ist, was ich bejahe. Er glaubt mir. Ich erwähne, dass ich am kommenden Wochenende zum 80. Geburtstag meiner Schwiegermutter eingeladen bin. Auf dem Rückweg will ich in seiner Wohnung noch nach Gegenständen sehen, die ich ihm mitbringen kann. Er bemerkt, dass Kassel eben immer noch die Heimat sei. Ich sage nur ganz ruhig, dass meine Heimat damals keinen Arbeitsplatz für mich hatte. Darauf erwidert er nichts. Die Einladung zum 80. erzeugt keine positive Reaktion.
Es hätte ja auch anders sein können, aber nun sei es ja egal. Der Eckschrank in seiner Wohnung, der sei ja etwas. Er stellt sich wohl vor, wie sein neuer Fernseher nun ebenfalls in der Ecke platziert wird. Sonst interessiert ihn nichts, es kann alles weg.
Ich komme auf das Thema Beerdigung zu sprechen. Vater hatte nach dem Tod meiner Mutter davon gesprochen, er habe alles für sich schon geregelt. Nun frage ich nach, was schon geregelt ist. Egon wiegelt ab, das wären alles nur Gespräche gewesen, nichts Richtiges. Damit ist das Thema für ihn erledigt. Allerdings fällt ihm nun das Grab der Mutter ein, seiner Frau, das er fast täglich besucht hat. Wer kümmert sich nun darum? Ich sage, dass ich einen Grabpflegevertrag abschließen werde. Ich habe mich nach den Kosten bereits beim Westfriedhof erkundigt. Wen ich im Falle des Falles benachrichtigen soll? Kassel, da ist ja nichts mehr. Bezogen auf die Verwandtschaft meiner Mutter sagt er: ich habe ja nichts zu verbergen. Vater unterhält sich gern mit mir, obwohl es ihm nicht leicht fällt. Wie sehen denn nur meine Arme aus? Fragt er mich und betrachtet und umfasst dabei seine dünnen Handgelenke. Ich kann ihm nichts mit bringen, Kleidung braucht er nicht, weil er liegt, Essen und Trinken kann er nicht. Aber er hat seine Brille, er meint, ich könnte ihm doch mal die Bild-Zeitung bringen. Fast schäme ich mich dafür, nicht selbst daran gedacht zu haben. Im Kiosk unten im Zentrum gibt es die wahrscheinlich, nur jetzt hat er zu. Na ja, beim nächsten mal, denke ich daran.
Ob er wohl schreiben kann? Vielleicht kann er es üben. Ich zücke einen kleinen Notizblock und gebe ihm einen Kugelschreiber in die Hand. Versuche mal, Deinen Namen zu schreiben. Er versucht, aber mehr als ein etwas undeutlicher Anfang seines Namens will nicht gelingen.
Er bricht ab und sagt, es geht nicht mehr.
Nun kommt die Zeit, ich muss gehen. Vater hat sich müde geredet. Wir geben uns die Hand wie immer. Mach's gut, bis bald. Ich genieße die Fahrt über den Berg zu uns nach hause. Die Frage nach dem "wie weit" habe ich Vater ja beantwortet. Der Frühling ist in vollem Gange und bei Vater scheint Normalität einzuziehen.
Am nächsten Tag zeige ich meiner Schwägerin, wo Vater nun unter gekommen ist. Es regnet in Strömen, das Fenster seines Zimmers ist offen, als ich schräg darunter anhalte. Gute Laune, das Heim macht wirklich einen guten Eindruck.
Zwei Tage später stirbt Vater, nachdem er zuvor noch ins Hanauer Krankenhaus eingeliefert wurde.
So bleibt mir nur der Samstagnachmittag. Vormittags gehe ich zum Friseur. Mittags mache ich Besorgungen, wasche das Auto und tanke. Ich esse noch etwas, es scheint, als würde ich die Minuten schieben bis zum Wiedersehen..
Schließlich fahre ich und werde von Egon mit den Worten "Du lebst ja auch noch." begrüßt. Er soll bei der Pflege morgens angeblich kerzengerade sitzen, ich sehe ihn nur noch flach liegen. Sein Atem hat hörbar Widerstand. Ich stehe an seinem Bett. Er holt sich ein gelblich aussehendes Etwas aus dem Mund und gibt es mir in die Hand. Unschlüssig stehe ich da und weiß nicht wohin damit. Er fährt sich mit den Fingern den Mund am Gaumen entlang. Er will die Zähne im Mund haben, bekommt es aber allein nicht hin. Die Pflegerin kommt und hilft ihm. Er versucht es allein und ich vermute, er macht es falsch. Nein, nein, er hat das Gebiss richtig herum, korrigiert mich die Pflegerin. Dennoch gelingt es nicht so richtig, er ist im Mund zu verschleimt. Ich schiebe im Vorraum die Sachen der Pflegerinnen beiseite, um meine Jacke aufzuhängen. Ich räume den Schrank leer von Utensilien, die ihm nicht gehören.
Dann sprechen wir. Ich schlage vor, die Bilder mal aufzuhängen und für mich überraschend sagt er, das könntest Du mal machen. Leider habe ich in meiner Konfusion nur 3 Reißzwecken für das Poster vom Herkules dabei. So befestige ich es unten mittig mit einer.
Danach hänge ich große Bild von Klee neben den Kleiderschrank. Jetzt können wir uns mal unterhalten. Egon fragt, ob der Herkules noch eingerüstet ist, was ich bejahe. Er glaubt mir. Ich erwähne, dass ich am kommenden Wochenende zum 80. Geburtstag meiner Schwiegermutter eingeladen bin. Auf dem Rückweg will ich in seiner Wohnung noch nach Gegenständen sehen, die ich ihm mitbringen kann. Er bemerkt, dass Kassel eben immer noch die Heimat sei. Ich sage nur ganz ruhig, dass meine Heimat damals keinen Arbeitsplatz für mich hatte. Darauf erwidert er nichts. Die Einladung zum 80. erzeugt keine positive Reaktion.
Es hätte ja auch anders sein können, aber nun sei es ja egal. Der Eckschrank in seiner Wohnung, der sei ja etwas. Er stellt sich wohl vor, wie sein neuer Fernseher nun ebenfalls in der Ecke platziert wird. Sonst interessiert ihn nichts, es kann alles weg.
Ich komme auf das Thema Beerdigung zu sprechen. Vater hatte nach dem Tod meiner Mutter davon gesprochen, er habe alles für sich schon geregelt. Nun frage ich nach, was schon geregelt ist. Egon wiegelt ab, das wären alles nur Gespräche gewesen, nichts Richtiges. Damit ist das Thema für ihn erledigt. Allerdings fällt ihm nun das Grab der Mutter ein, seiner Frau, das er fast täglich besucht hat. Wer kümmert sich nun darum? Ich sage, dass ich einen Grabpflegevertrag abschließen werde. Ich habe mich nach den Kosten bereits beim Westfriedhof erkundigt. Wen ich im Falle des Falles benachrichtigen soll? Kassel, da ist ja nichts mehr. Bezogen auf die Verwandtschaft meiner Mutter sagt er: ich habe ja nichts zu verbergen. Vater unterhält sich gern mit mir, obwohl es ihm nicht leicht fällt. Wie sehen denn nur meine Arme aus? Fragt er mich und betrachtet und umfasst dabei seine dünnen Handgelenke. Ich kann ihm nichts mit bringen, Kleidung braucht er nicht, weil er liegt, Essen und Trinken kann er nicht. Aber er hat seine Brille, er meint, ich könnte ihm doch mal die Bild-Zeitung bringen. Fast schäme ich mich dafür, nicht selbst daran gedacht zu haben. Im Kiosk unten im Zentrum gibt es die wahrscheinlich, nur jetzt hat er zu. Na ja, beim nächsten mal, denke ich daran.
Ob er wohl schreiben kann? Vielleicht kann er es üben. Ich zücke einen kleinen Notizblock und gebe ihm einen Kugelschreiber in die Hand. Versuche mal, Deinen Namen zu schreiben. Er versucht, aber mehr als ein etwas undeutlicher Anfang seines Namens will nicht gelingen.
Er bricht ab und sagt, es geht nicht mehr.
Nun kommt die Zeit, ich muss gehen. Vater hat sich müde geredet. Wir geben uns die Hand wie immer. Mach's gut, bis bald. Ich genieße die Fahrt über den Berg zu uns nach hause. Die Frage nach dem "wie weit" habe ich Vater ja beantwortet. Der Frühling ist in vollem Gange und bei Vater scheint Normalität einzuziehen.
Am nächsten Tag zeige ich meiner Schwägerin, wo Vater nun unter gekommen ist. Es regnet in Strömen, das Fenster seines Zimmers ist offen, als ich schräg darunter anhalte. Gute Laune, das Heim macht wirklich einen guten Eindruck.
Zwei Tage später stirbt Vater, nachdem er zuvor noch ins Hanauer Krankenhaus eingeliefert wurde.
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