Montag, 5. September 2011

2000 - II


Es tut mir leid, ich habe das nicht gewollt,
sagte Gott und zog sich in den Schmollwinkel seines Daseins zurück.
Gerade war die Schöpfung zu Ende gegangen.
Es kann passieren, war seine Meinung.
Es war einmal, er kannte es nicht.
Wer oder was war dieses kleine, große „Es“, das ihn überall umgab?
Es war nicht aktiv und doch da.
Er weiß es, es ist vorgekommen,
erschließt sich seiner Betrachtung, schmeckt gut.
Es könnte sein, Du fasst es nicht:
es macht sich.

Sonntag, 4. September 2011

2000 - I



Komm’ mit in das Wirtschaftswunderland,
Menschen sind mir hier nicht mehr bekannt. 
Pyramiden und Moscheen
Wirst Du dort garnicht sehen.
Spuren haben sich verwischt,
Märchen kriegst Du aufgetischt.

Samstag, 3. September 2011

1999 - VII


Herzlichen Glückwunsch,
der Mensch ist nicht mehr da, dessen Stimme nicht immer zum richtigen Zeitpunkt zu hören war. Wie willst Du ihm noch gratulieren? Eine Gedenkanzeige schalten, einen Blumenstrauß aufs Grab legen,
am Ende selbst zum Grab gehen?
Wo sollen wir denn sein? fragte mich dieser Mensch einmal, als ich ihn zuletzt zuhause besuchte und vorher fragte, ob er auch da sei. Meine Frage erschien damals so banal unsinnig und ist es bis heute geblieben, obwohl doch die Antwort so anders ausfallen müsste. Es gibt niemanden mehr, der sich anstelle dieses Menschen über Blumen freut.
Ein Stückchen Erde vielleicht irgendwann mit einem Stein drauf.
Das Gefühl der Verlorenheit stellt sich da schnell ein.
Irgendwo gibt es doch eine Verletzlichkeit, die den Automatismus unserer Zeit bremst. Der Tod kann übersehen werden, aber nicht ignoriert.
Er mahnt uns zu leben, solange wir leben.
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

Freitag, 2. September 2011

1999 - VI


Zwischen Alpenrand und Waterkant
erstreckt sich so ein schönes Land,
für seine Regeln wohl bekannt,
mit Bürgern, die sozialverträglich leben,
für die Sache an sich den Finger heben,
die Arbeit schaffen sich als Monument
von Wohlstand und Reichtum  für sich getrennt.
Solidarität steht auf dem Papier,
sozial produktiv, auch mal beim Bier.
Die ganze Welt soll von uns lernen,
doch erst was kaufen, sich dann entfernen.

Donnerstag, 1. September 2011

8. Mai 1945

Das Kriegsende nach 50 Jahren als Tag der „Befreiung“ in Deutschland feiern zu wollen, das ist eine Verarschung des Auslands. Schließlich ist das „Großdeutsche Reich“ mindestens mit einem Drittel Überzeugungstätern, einem weiteren Drittel Mitläufern und höchstens mit einem Drittel an kritisch eingestellten Menschen angetreten, um die Welt zu erobern. Nur die völlige militärische Niederlage bescherte einigen ein Quentchen Einsicht. Aber letztendlich ist Deutschland eben nur militärisch besiegt worden. Rechthaberei, Selbstüberschätzung, Moralismus und Intoleranz haben überlebt. Schauen wir z.B. den Straßenverkehr an und wir wissen: es ist Krieg. Den Tag der „Befreiung“ muss sich jeder selbst erarbeiten. Wir sollten froh sein, dass die politische Lage in Europa nicht mehr so labil ist wie zu Weimarer Zeiten. –
Die Frankfurter Neue Presse druckte den Leserbrief mit dem Hinweis, zum Thema gäbe es schon so viele Leserbriefe, nicht ab. –

Mittwoch, 31. August 2011

1999 - V


Die Flügel des Drachens, sie schwingen und singen
das Lied der einsamen Zeit.
Auch das ist ein Traum, so weit. 

Dienstag, 30. August 2011

1999 - IV


Mein lieber Fabricius II

In „seiner“ Familie schottet sich der Jungehemann bald ab, einem Zwang zum Versteckspielen folgend. Diktatorisch nimmt er Rache für sein Zurückgesetztsein in der Jugend. Stets trug er die abgelegten Sachen seiner beiden älteren Habbrüder. Die Pflegemutter setzt sich mit ihm auseinander und zeigt erst im Alter späte Reue. Reue dafür, dass sie nicht mit ganzem herzen dabei war als ihr gestrenger treudeutscher Mann ihr einen Sohn unterschiebt, den er mit seiner Nichte gezeugt hat, die gleich nach der Geburt ihres Kindes untertauchen muss. Die Rettungsaktion einer Familie lastete auf ihren Schultern. Aber das sieht er nicht, der aufgenommene Sohn, er fühlt nur die Sehnsucht nach seiner Mutter, als ihm das Fundament einer „normalen“ Familie unter den Füßen weg gezogen wird.

Das ist der erste Urlaub, von dem niemand aus meiner Familie weiß. Wer ist da noch übrig? Mein Vater hat, nachdem er mir versicherte, dass er mich nicht anruft, das Abheben des Telefonhörers verweigert. Zu Pfingsten musste ich das Grab meiner Mutter suchen. Es ist die Nummer 532 auf dem Westfriedhof. Konsequent werde ich nun die Wohnung meiner Eltern meiden. Der einzige Ort des Gedenkens wird die kleine Grabstätte sein, für deren Zustandekommen ich mich eingesetzt habe. Mein Vater will so schnell wie möglich das geliehene Geld zurückzahlen, um dem verhassten Sohn nicht schuldig zu sein. Mir bleibt nur die Chronistenpflicht, die ich mir selbst auferlege, um das Ende dieser verlogenen Dreyer-Familie zu dokumentieren.