Mittwoch, 18. Juli 2012

2003 - XIV


Denke ich an Leipzig in der Nacht
Oder wem es zu wohl ist, der geht nach Gohlis


Eine Frau ruft mir auf sächsisch etwas zu. Gerade bin ich in die Straßenbahn eingestiegen.
Ob ich ihr helfen könne. Das ist kein Problem, ich öffne an der nächsten Haltestelle die Tür für sie, denn sie steht bereits auf der untersten Stufe des Ausstiegs und kann den Knopf nicht drücken. Als die Tür auf ist, hält sie mir die Hand hin, will dass ich ihr beim Ausstieg helfe. Ich fasse die Hand der älteren Dame an, sie ist schweißnass. Sie hat Angst. Sie macht den einen Schritt auf den Gehsteig und bedankt sich. Aus der Straßenbahn sehe ich, wie ihre einfach gekleidete, etwas dickliche Figur verschwindet.
Ich denke an meine Mutter und den Moment, wo mir klar wurde, dass ich ihren vorsichtig aus der Tür lugenden Kopf mit dem Lächeln im Augenblick des Wiedersehens nun nicht mehr wieder sehe. Ein Gefühl der Unwiederbringlichkeit und Endgültigkeit. Einmal sagte sie, erst hast du Angst und dann machst du es doch. Wie sehr sie recht hatte. In dieser Stadt treffe ich wieder, was, wie ich glaubte, nicht mehr existiert: Zurückhaltung und Freundlichkeit. Die alte Straßenbahn fährt durch Straßen mit leeren Häusern, die seit Kriegsende so dastehen, aber diese Stadt bewirbt sich für Olympia.
Das verstehe ich, so ist das Leben. Später im Gohliser Schlösschen werde ich auf meinen Geburtstag anstoßen, nachdem ich die Weste von Schiller gesehen habe. Kann mir auf einmal vorstellen, wie Schiller verschlafen des morgens durch Rosenthal wankte, begleitet von einem Bauernjungen, der ein Getränk mitzuführen hatte. Der Weg führt direkt in die Stadt, wo damals noch keine Blechbüchse den Eingang verschönerte oder Plattenbauten charmant "Willkommen in Leipzig" grüßten. Nu, viel habe ich bei Schiller erfahren, auch das Herrscher in dieser Stadt nicht sehr geschätzt waren, weshalb man sie sich gleich vom Leib gehalten hat.
Leider konnte das später nicht immer so durchgehalten werden.




 Zum Trost bietet die Kneipenmeile Fettbemmen und schwarze Perlen en masse, ein paar davon sollten für mich übrig bleiben.
Oder einen Kaffee trinken und Kleckselkuchen essen, da wo Bach einst Kantor war. Der Tabakgeruch erinnert mich an meinen Großvater, der immer einen kalten Stumpen dabei hatte. Kabarett mochte er wohl eher nicht. Die Vorstellung bringt heute die Highlights seit der Wende. Es ist schön, dass die Vergangenheit noch lebt, aber es bleibt die wehmütige Erkenntnis, dass nicht alles so bleiben kann, wie es ist.
Unser Zug fährt nämlich bald zurück. Eine junge Psychologiestudentin bittet mich, ihren Koffer nach oben zu heben. Ich, Arnie in Person, bin natürlich bereit und bereue es auf halbem Weg. Die halbe Deutsche Bücherei scheint im Koffer eingelagert zu sein, aber man wächst ja mit seinen Aufgaben. Die Familie der jungen Frau hat sich vor dem Zugabteil versammelt, um ihre Tochter zu verabschieden und freut sich darüber, dass sie einen gefunden hat. Nachbarschaftshilfe, nu klor..



Dienstag, 17. Juli 2012

2003 - XIII


Eine dolle Nummer!

(Kurt Tucholsky über Valeska Gert)
Du hast gelebt und wusstest um den Tod,
die Haare stets schwarz, der Mund so rot.
Zu sein, so wie Du bist,
kein Kompromiss, ein bisschen List.
Der Ausdruck steht Dir im Gesicht,
im Tanz erfüllst Du Deine Pflicht.
Der Traum von der Unsterblichkeit,
so etwas Hexerei auf Zeit,
die Todesnachricht nicht überlebt,
Gesichtsmuskulatur: erbebt!

Sonntag, 15. Juli 2012

2003 - XI


Eine Welt

Diese Welt ist einfach. Sie besteht aus kleinen Steinen, Sand genannt. Es gibt auch Luft zum Atmen und Wasser zum Trinken. Mein Weg ist Teil einer Karawane. Ich bin nirgendwo, weil es mir gefällt. Erreiche das Ziel früher oder später, bin nicht zielstrebig aber unerschütterlich, störrisch und reagiere auf Antrieb bissig.
Wenige trockene Halme und Blätter genügen, beiläufig suche ich danach. Nicht immer nehme ich das gebotene Wasser an. Denn ich kann es mir leisten, zeitweise Verzicht zu üben. Ich vergeude keine Kraft mit überflüssigen Bewegungen und trage meinen Kopf einmütig immer oben. Manche glauben, ich sei arrogant, dabei bin ich phlegmatisch. Arroganz wäre mir zu anstrengend. Gewiss, es gibt brüllende Löwen und turnende Affen, flinke Fische und segelnde Vögel. Ablenkungen der Natur, die versucht, eine Vielfältigkeit vorzutäuschen. Wie ein lärmender Handwerker, der sein Geschäft anpreist und ständig neue Waren am Lager hat.
Darauf falle ich nicht hinein. Mein Ziel ist die Oase, an deren Rändern ich mich aufhalte.
Ich kann vieles zugleich, kauen und laufen oder einfach nur dösen. Als Bildnis eines Kamels bin ich sehr wertvoll für die Söhne der Wüste.

Samstag, 14. Juli 2012

2003 - X


Are you a patch and working?

Being in your car and on the road again?
Seeing someone similar to you and then
leaving and breaking a heart,
not willing to do, but being smart?
No glimpse why to come and go at a line,
that's patchwork my friend, it's so fine.
Mobility, politicians pray,
is healthy and wealthy, so they say!
It keeps you movin' and alive,
loneliness is an awesome wife!

Freitag, 13. Juli 2012

2003 - IX


Bembel-Logic

Wer allzeit
krampft und ewig krämt,
sich seiner
Nörgelei nicht schämt,
der hat den
Lebensweg verpasst
und ist als
Mensch schon bald verblasst.

Donnerstag, 12. Juli 2012

2003 - VIII


Forsthaus Falkenau

Wir alle kennen sie, die realistischen Vorabendserien der öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme. Leute in Designerklamotten lümmeln vollgeschminkt im Bett herum. Die Häuser und das Interieur sind picobello und Erfolg haben diese Menschen prinzipiell, krabbeln aus immer neuen Karossen, ohne Türen abschließen zu müssen und das einzige Problem ist die Suche nach Problemen. Diese sind so herrlich plakativ und unrealistisch, dass das Zusehen Freude macht. Natürlich gibt es immer ein Happyend und wer hat die Ideen dazu?
Im Forsthaus Falkenau fast immer der Oberförster. Eine mythische Wirkung strahlt er aus, wenn er durch den ach so bayerischen Wald schreitet.
Ihm nimmt man nichts übel, denn er hat für alles eine Lösung. Das finden alle immer so gut, dass sie sich trotz der scheinbar größten Streitereien am Ende immer versöhnen. So ein Oberförster ist eben nicht nur im Wald der König, sondern auch im Leben. So einfach ist das. Da Frauen das Gute im Mann ja schnell erkennen, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als ihn zu schätzen und so findet sich, wenn des Försters Frau sich selbst verwirklichen will, schnell ein kompetenter fachlicher Ersatz. Die Frau für einen modernen, dominanten Oberförster muss nicht nur im Haus was drauf haben, nein, sie sollte auch beruflich glänzen, ohne dem Oberförster die Schau zu stehlen. Eine versteckte Koryphäe, sozusagen im Wald versunken. Überhaupt, der Wald, er spiegelt die Sehnsucht nach einer intakten, aber beherrschbaren Natur wieder. Der Mensch macht seine Fehler wieder gut, weil er so genau über die Natur Bescheid weiß. Da kommt der Glaube an das menschliche Wissen ins Spiel. Obwohl täglich widerlegt, ist das doch eine schöne Ideologie. Der Oberförster, der Massimo- Leader derselben? Schon das Wort "Ober" deutet darauf hin. Er verinnerlicht die Sache an sich und ordnet sich selbst völlig unter. Somit ist er ein guter Deutscher. Ob er im heutigen Berufsleben damit eine Chance hätte, das müsste separat betrachtet werden. Das Forsthaus jedenfalls ist der Hort des Wahren, Schönen und Guten und nicht die Oper: mein Haus, mein Auto, meine Frau ..